WIR HIER: Artikel von Geflüchteten und Menschen, die schon länger hier leben

„Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust“

Von Susanna M. Farkas

Ich wurde als Tochter zweier Künstler im Juli 1971 in Budapest geboren. Schon im September desselben Jahres ging meine Mutter mit mir nach Deutschland. Ich ver-brachte in der damaligen DDR 17 Jahre meines Lebens. Dann ging ich allein nach Budapest zurück. Hier lebte ich 12 Jahre, bis ich dann im Alter von 29 Jahren Ungarn verließ, um in Hamburg an der Universität Philosophie mit dem Schwerpunkt Moral und Ethik zu studieren. Ich bin Mitglied in der Hamburger Autorenvereinigung. Weitere Informationen unter www.susanna-m-farkas.de

 

„Und ein Schriftgelehrter trat herzu und sprach zu ihm: Meister, ich will dir nachfolgen, wohin du auch gehst!
Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben, und die Vögel des Himmels haben Nester, aber der Sohn des Menschen hat nichts, wo er sein Haupt hinlegen kann.“ (Matthäus 8.19-20)

Mein Name ist Susanna M. Farkas.
Ich bin ein „weder noch“ Mensch.
Ich bin zweisprachig, oder wie man es klüger sagt: bilingual aufgewachsen.
Ich fühle mich in zwei Sprachen, in zwei Welten zu Hause und trotzdem heimatlos.
Ich bin weder im Tick noch im Tack beim Ticken der Uhr. Ich bin in der Pause, also genau dazwischen.
Es gibt für uns keine Bezeichnung, weder Tick noch Tack sondern Ticktack. Das gibt es aber nicht.
Ich bin ein Mensch, der immer irgendwie zwischen den Seilen schwebt.
Ein Mensch, der in zwei Welten denkt und lebt, diese vereint und hofft somit ähnlich denken zu können, wie die anderen, die „nur“ eine Sprache leben.
Ein unmöglicher Versuch.
Ich suche meine Heimat, kann sie aber nicht finden, denn es gibt sie nicht.
So nicht.
Es gibt kein Land, das meines ist. Weder Ungarn noch Deutschland.
Als Kind sehnte ich mich nach Ungarn, denn da bin ich geboren, das ist meine Heimat. Dachte ich. Fühlte ich.
Mit 17 verließ ich dann Deutschland und ging nach Ungarn, in meine Heimat. Ich hoffte zu Hause sein zu können. Doch ich war es nicht. Ich war fremd.
In meiner eigenen Heimat fremd.
Der deutsche Philosoph Peter Fröhling sagte einmal: „Der Vogel kehrt zurück, sucht sein altes Nest und findet es wieder. Der Mensch aber kehrt zurück, erblickt sein Vaterhaus und findet nicht mehr heim.“
Wonach sehnen wir uns eigentlich?
Wonach hatte ich Heimweh?
Nach meiner Familie? Nach der Sprache? Nach den Menschen? Ja, wonach?
Habe ich mich getäuscht? Waren all meine schönen Bilder, die ich über meine Heimat einst so hegte und pflegte, nicht nur ein Traum eines Kindes?
Eines Kindes, das sich fremd fühlte und eine Ideal-Heimat erfand, um überleben zu können? In der Fremde?
Sind wir Menschen wirklich so schutzbedürftig? So bedürftig, dass wir uns panzern müssen mit vielen „Meins“? Meine Heimat, meine Familie, mein Vater, meines Mutter, mein Haus, mein Kind, mein Auto, mein Geld, meine Sprache, mein Land.
Was wäre, wenn wir all das nicht hätten? Kein „Meine Eltern“, kein „mein Haus“, meine „Sprache“? Könnten wir so leben? So nackt.
Kann der Mensch ohne Heimat leben?
Ja, er kann.
Rastlos.
Ruhelos.
Getrieben von Heimweh nach einer Heimat, die es so nicht mehr gibt.
Immer auf der Suche nach seinem eigenen, aber verlorenen Gesicht.
Millionen sind betroffen davon.

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