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Das frühe Ende der Kindheit

Von Samah Al Shaghdari aus Jemen, aus dem Arabischen übersetzt
SamahDer Brauch der Zwangsverheiratung junger und manchmal sehr junger Mädchen ist eines der sozialen Phänome in arabischen Ländern. Es gibt viele Gründe, warum Eltern ihre Töchter in einem frühen und manchmal sehr frühen Alter verheiraten. Die schlechte wirtschaftliche Lage und der Analphabetismus sind dabei die Hauptfaktoren: Die Menschen leben oft unter fragilen wirtschaftlichen Bedingungen, und sie haben inbesondere in ländlichen Gebieten keine Vorstellung von den Konsequenzen und Risiken solcher Ehen.

Dass die Mädchen bei der Zwangsverheiratung nicht jünger als zehn Jahre sein dürfen, macht den Brauch nicht besser.
Die Ablehnung oder Billigung von frühen Ehen hat nichts mit Familientraditionen zu tun. Häufig werden jedoch zur Rechtfertigung Überzeugungen religiöser Gemeinschaften herangezogen. Armut ist aber wohl der wichtigste Grund für die frühe Verheiratung der Töchter. Indem die Mädchen verheiratet werden, wird die finanzielle Belastung der Familie gemildert. Die Mädchen sind so nichts anderes als eine Ware. Das ist genau das gleiche wie Menschenhandel in anderen Zusammenhängen. Menschenrechte bleiben völlig unbeachtet, wenn Mädchen bzw. Frauen ihren Partner nicht selbst auswählen können, unbeeinflusst von direkten und indirekten Zwängen.
Natürlich kämpfen auch arabische Frauen für eine Gesellschaft ohne Gewalt gegen Frauen und ohne Verletzungen ihrer Menschenwürde. Sie haben auch einige Erfolge erzielt, aber insgesamt bleiben viele Hindernisse und Herausforderungen auf dem Weg in eine Zukunft, in der die Menschenrechte auch für Frauen gelten. In diesem Zusammenhang müssen wir die bemerkenswerte Präsenz arabischer Frauen bei der Verteidigung ihrer Rechte betonen. Durch ihr Engagement und ihre Hartnäckigkeit wurden viele Gesetze verabschiedet, die darauf abzielten, die Beteiligung von Frauen am politischen, sozialen und kulturellen Leben auf lokaler und internationaler Ebene zu stärken. Ihre bislang größten Erfolge: Die Aufhebung des Gesetzes über die Straffreiheit eines Täters nach Sexualstraftaten wie Vergewaltigung sowie die Änderungen der Personenstandsgesetze.
Die Zwangsverheiratung variiert in ihrer Verbreitung in den verschiedenen arabischen Ländern. Bei den Eheschließungen im Sudan macht sie 52% , in Mauretanien 35%, im Jemen 32%, in Palästina 21%, in Ägypten 17%, im Libanon 6 % und in Tunesien und Algerien 2% aus. Die WHO hat für den Zeitraum von 2011 bis 2020 prognostiziert, dass mehr als 14 Millionen Mädchen verheiratet und von ihnen bei Eheschließung 50% jünger als 15 Jahre alt sind. Eine Statistik der UNDP (Programm der Vereinten Nationen: United Nations Development Program) für 2006 weist aus, dass etwa 15 Millionen Mädchen in Entwicklungsländern heirateten, bevor sie 18 Jahre alt waren.
Dass die Zwangsverheiratung und die Ehe vor dem Erreichen der körperlichen und geistigen Reife die physische und die psychische Gesundheit der Mädchen negativ beeinflusst, liegt auf der Hand. Die Risiken einer frühen Heirat beschränken sich nicht nur auf psychische Schäden, auch körperliche Risiken werden in Kauf genommen. Dazu gehören frühe Schwangerschaften ebenso wie die rasche Folge von Schwangerschaften und Geburten.
Die Eheschließung von Minderjährigen darf nicht nur sporadisch Thema von öffentlichen Aufklärungskampagnen sein. Viel wichtiger ist die Thematisierung im Bildungs- und Weiterbildungsbereich und die Erziehung zur Eigenständigkeit. Es ist eine Schande, wenn Frauen als Ware behandelt werden. Dies zu ändern muss Bestandteil eines umfassenden Entwicklungsprozesses in allen Ländern sein, in denen es die Zwangsheirat gibt. Rechtssprechung und Lebenswirklichkeit von Frauen müssen in Übereinstimmung gebracht werden mit den entsprechenden Internationalen Gesetzen und Konventionen.

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