WIR HIER: Artikel von Geflüchteten und Menschen, die schon länger hier leben

Fünf Jahre Willkommen-Team Norderstedt

Von Anette Reinders, 2. Stadträtin
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 „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“, sagte einst Erich Kästner. In Zeiten, in denen die Zeitungen voll davon sind, dass unsere Welt egoistischer und ichbezogener wird, passierte in Deutschland etwas Außergewöhnliches. Der plötzliche Zustrom von Tausenden von Flüchtlingen täglich stellte alle Verantwortlichen vor ungeahnte Herausforderungen und Probleme, die sie innerhalb kürzester Zeit lösen mussten. Und im Nachhinein kann man feststellen, dass viele dieser Situationen nur durch das Engagement der Zivilbevölkerung bewältigt werden konnten. Es war sicher eine Ausnahmesituation in der Geschichte der Bundesrepublik, wenn sogar die Polizei per Twitter um Getränke und Essen für 5.000 Geflüchtete auf dem Marienplatz in München bat. Es war genauso außergewöhnlich, dass dieser Hilferuf innerhalb kürzester Zeit unkonventionell zur Versorgung der dort ausharrenden Menschen führte.
Auch in Norderstedt hätte die Flüchtlingskrise nicht so erfolgreich bewältigt werden können, wenn es nicht die vielen Ehrenamtlichen gegeben hätte und immer noch gibt. Wobei Norderstedt auch in diesem Punkt schon eine Idee voraus war. Denn bereits im Jahr 2014 – ein Jahr vor dem Höhepunkt der sog. Flüchtlingskrise – wurde auf Initiative von Heide Kröger, Susanne Martin, Regina Baltrusch und Hero Hewa Amin das Willkommen-Team gegründet. Ich kann mich noch gut an die ersten Willkommenbeutel erinnern, die mit Bordmitteln aus Beständen der Verwaltung und engagierter Privatpersonen gepackt wurden. Und natürlich an die Gründungsversammlung im Raum K 130/131, bei der der Raum berstend voll war. Es wurde um die Satzung gerungen, und es wurde der erste Vorstand mit Susanne Martin, Susanne Dähn, Regina Baltrusch, Siegfried Kurzewitz und Meike Winterscheid gewählt.
Für uns alle, ob hauptamtlich oder ehrenamtlich, waren die Jahre 2014 bis 2016 mit täglich neuen Herausforderungen verbunden. Abends waren wir froh, wenn die Menschen alle untergebracht und versorgt waren. Die Mitglieder des Willkommen-Teams arbeiteten teils bis zum Anschlag, um neue Flüchtlinge zu begrüßen, die ersten Wege zum Rathaus gemeinsam zu bewältigen, Arztbesuche zu begleiten oder in die Geheimnisse von „Tafel“ und Kleiderkammer einzuweisen. Auch für die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel war Unterstützung gefragt, ganz zu schweigen von Familien, deren Kinder die Schule besuchen mussten oder einen Kitaplatz benötigten.
Besonders bemerkenswert ist aus meiner heutigen Sicht, dass die unterschiedlichen Aufgaben der ehrenamtlichen Unterstützerinnen und Unterstützer innerhalb kürzester Zeit strukturiert waren. So gab es Listen, die bei Ankunft der Flüchtlinge mit diesen „abgearbeitet“ wurden, anhand von Bildmaterial wurde der ÖPNV oder der Weg zum Rathaus erklärt. Und es gab Schulungen für neue Ehrenamtliche und wöchentliche Montagsrunden zum Erfahrungsaustausch der Mitglieder.
Heute, fünf Jahre später, steht die Flüchtlingsarbeit vor neuen Herausforderungen. Nicht nur, dass sich das politische Klima in unserer Gesellschaft stark verändert hat; nein, auch die Situation der Geflüchteten ist eine andere. Viele von ihnen sind jetzt drei, vier oder fünf Jahre hier. Alle haben sich auf den Weg gemacht, weil sie in ihrem Land für sich und ihre Familien keine Perspektive gesehen haben, und viele versuchen jetzt hier anzukommen und sich hier eine Existenz aufzubauen. Das ist für nicht wenige schwerer als gedacht. Die schwere Sprache, fehlende Wohnungen, berufliche Erfahrungen, die auf einmal nicht mehr zählen … und bei vielen spielt sich das Leben vor allem in der Unterkunft ab, weil es zu wenig Begegnungsmöglichkeiten gibt.
Willkommensarbeit ist aus meiner Sicht nach wie vor ein wertvoller Beitrag der Zivilgesellschaft zur Integration von Geflüchteten und ein wichtiges Zeichen gegen die Spaltung unserer Gesellschaft. Auch wenn sich die Arbeit verändern wird, da in Zukunft weniger die unmittelbaren Hilfen im Vordergrund stehen, wird eine Integration nur mit Menschen gelingen, die Geflüchtete sowie Migrantinnen und Migranten hier willkommen heißen und die Brücken in unser städtisches Leben und unsere Gemeinschaft bauen.
Herzlichen Glückwunsch an das Willkommen-Team Norderstedt zum 5. Geburtstag – wir alle brauchen Euch – gestern, heute, morgen!

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