Leseempfehlung von Sabina Kuhlmann
Drei Geschwister, Bulbul, Hussain und Fatima, machen sich im vom Bürgerkrieg zerstörten Syrien des Jahres 2015 auf, den letzten Wunsch des gerade verstorbenen Vaters Abdellatif zu erfüllen: Dieser möchte in seinem Heimatdorf Anabija, nördlich von Aleppo, neben seiner Schwester Laila, die sich als junge Frau aus Protest gegen eine arrangierte Ehe verbrannt hat, begraben werden. In friedlichen Zeiten kein Problem. In Zeiten des Krieges ein „mühseliges Geschäft“.
Ein bizarrer Roadtrip von Damaskus nach Aleppo beginnt. Der im Minibus zwischen vier Eisblöcke gebettete Leichnam des Vaters muss an zahllosen Checkpoints vorgezeigt werden. Offenbar kann in diesem Land jeder jeden kontrollieren, schikanieren, abkassieren. Die Geschwister sind der absurd erscheinenden bürokratischen Willkür der jeweiligen Soldaten oder Geheimdienstleute ausgeliefert, müssen Bestechungsgelder zahlen, Religionsprüfungen ablegen, werden samt Leichnam verhaftet und wieder freigelassen. Der Verwesungsprozess des Leichnams schreitet währenddessen unaufhaltsam voran. Die drastische und bildhafte Darstellung von Geruch, Aussehen und Verfall der Leiche scheint sinnbildlich für die sich auflösende elende Verfassung des ganzen Landes. Es gibt keinen Respekt mehr vor dem Tod in einem Land, dessen Religion etwas anderes gelehrt hat und von dessen Menschen eigentlich etwas anderes erwartet wird. Die vielen toten Soldaten verdrängen das einzelne Schicksal, das private Leid der Menschen. „Der Tod war wie eine gewaltige Flut, die alle umgab“. Selbst „der Glanz des Wortes Märtyrer“ war verblasst. Dennoch ziehen die drei Geschwister das mühselige Geschäft durch, dem Vater den letzten Wunsch zu erfüllen.
Sie sind sich in den letzten Jahren fremd geworden und kommen sich trotz der langen gemeinsamen Fahrt und des scheinbar gemeinsamen Zieles nicht mehr näher. Jeder ist mit sich und dem eigenen Trauma beschäftigt. „Viel Gesprächsstoff hing ihnen in der Kehle“ aber „die Trennung war das einzig Gute, das sie während der vergangenen 10 Jahre vollbracht hatten“. Es macht den Leser traurig, zu erfahren, wie zerrüttet diese Familie ist und er ahnt, dass diese Berichte auch viel über den Zustand der Gesellschaft Syriens nach der Revolution aussagen.
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Der Autor Khaled Khalifa wurde 1964 in Aleppo geboren. Er studierte Jura an der Universität Aleppo und war Mitbegründer und Mitherausgeber der Literaturzeitschrift „Alif“, einem kritischen Forum für experimentelles Schreiben. Ende der 1980er Jahre wandte er sich von der Poesie ab und begann Romane zu schreiben. Darüber hinaus verfasste er zahlreiche Drehbücher für Kinofilme und Fernsehserien, die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurden. Khalifa zählt zu den bedeutendsten arabischen Autoren.
Da er nicht emigrierte, sondern bis heute in Damaskus lebt und arbeitet, kennt er den Zustand von Land und Leuten genau. Seine Bücher sind in Syrien verboten. „Der Tod ist ein mühseliges Geschäft“ ist das erste Buch von Khaled Kalifa, das in die deutsche Sprache übersetzt wurde.