Von Ayala Nagel
Mein Name ist Ayala Nagel, ich komme aus Israel und lebe seit 20 Jahren hier in Norderstedt. Ich bin verheiratet und habe zwei Töchter.
Als Susanne Martin mich fragte, ob ich über Judentum schreiben kann, um Anders-oder Nicht-Gläubigen meine Religion näher zu bringen, dachte ich an die Fragen: Was ist Judentum für mich? Warum ist Judentum etwas anderes als andere Religionen, und was verbindet alle Religionen? Ich erinnerte mich an all die Rituale, die für mich das Judentum ausmachen. Vielleicht sind es auch die Rituale (auch wenn sie sehr unterschiedlich sind), die alle Religionen haben. Rituale werden durch Worte, Gebete und feierliche Handlungen festgelegt, die ich kenne, seitdem ich ein kleines Kind war.
In diesem Artikel versuche ich, diese Fragen anhand von Beispielen zu Ritualen aus unserer jüdischen Tradition zu erklären.
Judentum ist für mich die Erinnerung (Zikaron auf Hebräisch), die uns Juden verbindet. Die Erinnerung an unseren Wurzeln, an unsere Geschichte. Diese liegen mehr als 3.800 Jahre zurück.
Am Pessach Abend wird in jüdischen Familien der Auszug aus Ägypten durch ein festliches Seder (Abendmahl) gefeiert.
Während des Festmahls wird die Pessach-Haggada (die Pessach-Erzählung), die Geschichte von dem Auszug aus Ägypten, vorgelesen. In der Haggada steht:
„In jeder Generation soll der Mensch sich betrachten, als ob er selbst aus Ägypten ausgezogen sei.“
So wird der Geschichte des Auszugs der Juden aus Ägypten gedacht, und diese Geschichte wird von Vater zu Sohn weitererzählt.
Auch während einer jüdischen Hochzeit wird an historische Ereignisse erinnert. Die Braut und der Bräutigam stehen unter der Chuppa (Baldachin). Der Bräutigam muss ein Glass zerbrechen in Erinnerung an den Tempel in Jerusalem, der zerstört wurde. Er sagt: „Wenn ich Dich vergesse, oh Jerusalem, lass meine rechte Hand vergessen“.
So beruhen die jüdischen Rituale und Bräuche auf einem geschichtlichen Hintergrund.
Die jüdischen Riten sind sehr eng mit Ereignissen der Geschichte des jüdischen Volkes verknüpft.
Judentum ist für mich auch die „Mischpuche“ (Familie), die uns immer wieder Verständnis, Gefühle, Empathie, Wärme und Liebe schenkt.
In der Bibel steht, dass wir „Benei Israel“ - die Söhne Israels - sind. Und so verstehen sich alle Juden als ein Teil einer großen Familie.
Die erste Erinnerung im Judentum ist der Berg Sinai. An diesem Berg hielten die Israeliten auf dem Weg von Ägypten nach Israel an und empfingen die 10 Gebote. Sie beschreiben die Welt, wer wir Juden sind, und sie bestimmten für uns, wie wir uns verhalten, was für uns Juden wichtig ist, welche Werte uns auf unserem Lebensweg führen und wie wir für unsere Familie und für unsere Erinnerung diese Werte gelten lassen. Am jüdischen Wochenfest Schawuot feiern wir diese Verbindung zu Gott durch die Gabe der Thora am Berg Sinai.
Die Gabe der Thora am Berg Sinai hat auch eine andere Ebene des Judentums für mich. Es ist die Verbindung zum Land Israel.
Erstens die Verbindung zum Land als geographischer Ort (auf Hebräisch Eretz). Eretz Israel, das Land Israel, ist das Land, in dem sehr viele biblische Geschichten stattfanden.
Am Wochenfest, dem Fest der Ernte, dem Fest der Erstfrüchte, feiern wir auch die Verbindung zur Natur und zum Land.
Die biblische Geschichte von Ruth wird vorgelesen. Sie begab sich genau zur Zeit der Ernte.
Zweitens die Verbindung zu Israel als dem jüdischen Staat im Lande Israel. In der Zeit des zweiten Weltkriegs gab es sehr viele jüdische Flüchtlinge. Die Juden mussten aus Europa fliehen. In der israelischen Unabhängigkeitserklärung steht: „Im Land Israel entstand das jüdische Volk. Hier prägte sich sein geistiges, religiöses und politisches Wesen. Hier lebte es frei und unabhängig, hier schuf es eine nationale und universelle Kultur und schenkte der Welt das ewige Buch der Bücher.“
Heute gibt es keine jüdischen Flüchtlinge. Israel ist die einzige Heimat des jüdischen Volks. Für Juden überall auf der Welt hat dies eine besondere Bedeutung.
Eine weitere Säule, die für mich im Judentum sehr wichtig ist, ist Hebräisch, Ivrit, die Sprache, in der die Bibel geschrieben wurde. Die Sprache Hebräisch, in der alle Juden auf der Welt die Bibel lesen, die Sprache, in der alle Juden auf der Welt ihre Gebete beten, in der Synagoge und zu Hause.
Einer der schönsten Momente für mich ist der Freitagabend. Freitagabend, kurz bevor Schabbat beginnt, zündet die Frau in jüdischen Familien zwei Kerzen an und betet ein Gebet auf Hebräisch. Dieses Ritual wird wöchentlich in allen jüdischen Häusern wiederholt und hat eine sehr hohe Bedeutung.
„… Der sechste Tag. Da waren vollendet der Himmel und die Erde und all ihr Heer. Und der Ewige hatte vollendet am siebten Tage sein Werk, das er gemacht, und ruhte am siebten Tage von all seinem Werk …“
Dies ist ein Auszug aus der Bibel, aus dem ersten Buch Moses Kapitel 2,1.
Der Schabbat symbolisiert die Heiligkeit der Schöpf-ung Gottes, er symbolisiert den Eintritt der Ruhe und des Lichts an diesem Tag und verbindet für mich alle Themen, die ich in diesem Artikel erwähnt habe.
Nach dem Anzünden der Kerzen wird „Schabbat Schalom“ auf Hebräisch gesagt. Möge dieser Tag ein Tag voller Frieden sein.
Und so wünsche ich uns Schalom, dass WIR in Frieden miteinander HIER in Norderstedt leben werden. Dass wir uns besser kennenlernen und verstehen und uns näher kommen.
Für weitere Fragen zum Thema Judentum und Israel stehe ich gerne zur Verfügung.
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