WIR HIER: Artikel von Geflüchteten und Menschen, die schon länger hier leben

Sehnsuchtsorte

Von Issa Saad aus Syrien, teils aus dem Arabischen übersetzt u. bearbeitet
IssaSaad
Meine Heimatstadt ist Kamischli im Nordosten Syriens an der Grenze zur Türkei in der Provinz al-Hasaka. Sie liegt am Fluss Dschaghdschagh. Er entspringt in der Türkei und mündet etwa 80 km südlich in den Chabur. Die Region wird landwirtschaftlich intensiv genutzt, es wird Baumwolle und Weizen angebaut. Dort in Kamischli bin ich geboren, mit elf Geschwistern aufgewachsen und zwölf Jahre zur Schule gegangen. Nach dem Abitur habe ich in Aleppo eine dreijährige Ausbildung absolviert, die ich mit einem Diplom für den Bereich Bahn-Signalanlagen abschloss.

Anschließend habe ich dort lange für die Bahn gearbeitet.
Aufgrund der immer heftiger werdenden Unruhen bin ich 2007 in die Nähe von Kamischli zurückgekehrt. 2015 wurde die Stadt durch den IS eingekreist und 2016 kam es zu schweren Anschlägen. Aus Angst um Leib und Leben bin ich dann mit meiner Frau nach Deutschland geflohen. Ein Teil meiner Familie lebt heute zerstreut in Deutschland, der Schweiz und der Ukraine.
Als Kurde bin ich stolz auf die Jahrtausende alte Kultur und Geschichte meines Landes, und ich möchte Sie gern mit einer Besonderheit dieses Teils von Syrien, der von Kurden besiedelt wird, bekannt machen.
Handel war immer die wichtigste Erwerbsquelle in der Region. In Ost-West-Richtung gab es schon in alter Zeit eine Handelsroute, die Assyrien mit dem Mittelmeer und Anatolien verband. Heute stellt sie die Landesgrenze zwischen der Türkei und Syrien dar. Von ihr abzweigende Straßen führten im Süden zum Euphrat und von dort weiter nach Babylonien und zum Persischen Golf her. Im Norden führten sie über den Tur Abdin nach Ost-Anatolien.
Südlich, ganz in der Nähe von Kamischli, liegt Tel Lelan. Tel Lelan ist ein Hügel mit einem Dorf darum herum. Auf dem Hügel selbst besteht Bauverbot. Interessant ist Tel Lelan deshalb, weil die 1978 begonnenen Ausgrabungen zeigten, dass dort seit 6.000 a.C. eine Siedlung über die andere gebaut wurde. Das muss man sich so vorstellen: Wenn eine Siedlung aufgegeben worden war, hat die Natur sie zurückerobert. Es dauerte immer Jahrtausende, bis sie von Boden bedeckt und wieder ein Teil der Landschaft geworden war. Weil die Region wirtschaftlich wichtig war, wurde irgendwann dann wieder dort eine Siedlung gebaut.
Weil der Hügel also durch Bebauung derselben Stelle in verschiedenen Jahrtausenden entstanden ist, finden sich in Schichten übereinander Mauern, Gebäude und andere Hinterlassenschaften aus den verschiedenen Epochen. Es wurden zum Beispiel Inschriften und Keramiken unterschiedlichen Alters gefunden, auch Bauschmuck, Statuen und (Halb-)Reliefs. Sogar ein Briefwechsel zwischen verschiedenen Städten wurde gefunden.
Ich habe Tel Lelan mehrfach besucht und war jedes Mal fasziniert. Wir sollten in der Fremde die Schönheiten unserer Heimat nicht vergessen, und wir sollten darüber erzählen.

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