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Schwangerschaft und Geburt in Eritrea

Von Habtom Grmay
HaptomGrmey

Lebensstationen wie Geburt, Heirat und Tod sind für alle Menschen vergleichbar. Es sind die Rituale und Bräuche um diese Ereignisse herum, die den Unterschied machen. Im Folgenden erzählt ein junger Eritreer von Ritualen und Bräuchen bei Schwangerschaft und Geburt in seinem Heimatland, wie sie vor allem in den Dörfern praktiziert werden. Zuvor noch dies: Viele junge Frauen in Eritrea entscheiden sich für eine sehr frühe Ehe und Schwangerschaft. Damit vermeiden sie, zum Militärdienst eingezogen zu werden. Der ist extrem hart und sexueller Missbrauch ist an der Tagesordnung. Die Geburtenrate liegt bei 4,7 Kindern je Frau. Staatliche Geburtsurkunden gibt es in Eritrea übrigens ebenso wenig wie Heiratsurkunden. Dadurch ist ein Familiennachzug bei anerkannten Geflüchteten nach Deutschland schwierig bis unmöglich.

Ich möchte euch von Schwangerschaft und Geburt in Eritrea erzählen. Es gibt da große kulturelle Unterschiede zu Deutschland, vor allem in den Dörfern. Zum Beispiel sind Schwangerschaft, Geburt und Säuglingspflege reine Frauensache. Ich lebe seit Oktober 2014 in Deutschland und weiß, dass das hier anders ist.

Wenn in Eritrea eine Frau schwanger ist, muss sie keine schwere Arbeit mehr leisten, weil das für das Kind nicht gut sein soll. Ihre Aufgaben übernehmen weibliche Verwandte, Nachbarinnen und Freundinnen.
Zur Halbzeit der Schwangerschaft feiert die Frau mit den anderen Frauen ein Fest. Es wird Ga'at gekocht. Dafür wird geröstetes Gersten- oder Hirsemehl unter ständigem Stampfen mit einem Holzlöffel mit Wasser erhitzt. Ga'at wird in Form eines Vulkans serviert: Eine Mulde in der Mitte wird mit einer Mischung aus zergelassener Butter und der Gewürzmischung Bebere gefüllt. Um die Schärfe zu mildern, wird der Vulkan außen mit Joghurt umrandet. Eritreer essen gerne miteinander und mögen Ga'at sehr gerne.
Wenn die Zeit der Entbindung naht oder die Schwangere krank ist, kümmern sich die anderen Frauen ganz besonders um sie. Sie beten auch gemeinsam für sie und für das ungeborene Kind. Wenn die Frau ihr erstes Kind bekommt, kehrt sie für die Geburt zurück in ihr Elternhaus oder die Mutter oder eine andere erfahrene Frau kommt zu ihr. Der Mann darf sich nicht im selben Haus wie die Frau aufhalten.
Die Geburt wird offiziell mit Freudenschreien verkündet. Wenn es ein Junge ist, rufen die Frauen sieben Mal „elll“. Bei einem Mädchen rufen sie das nur drei Mal. Die unterschiedliche Bewertung von Jungen und Mädchen wird mit der Bibel begründet, die für die orthodoxen Christen in Eritrea maßgeblich ist. Die Wertschätzung für Mädchen merkt man aber bei der Hochzeit. Der Bräutigam und seine Familie müssen der Frau wertvolle Geschenke machen, damit die Ehe zustande kommt. Und tatsächlich sind Eritreer immer glücklich über die Geburt eines Kindes, egal, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist. Eritreer gehen mit allen Kindern, auch fremden, sehr liebevoll um.
Die Frauen danken Gott und Mutter Maria für das Kind. Das tun die Männer auch, die während der Geburt draußen gewartet haben. Wenn die Nachricht kommt, dass das Kind geboren ist, feiern sie mit Ga'at und essen zusammen.
Nach der Entbindung hat die Mutter erst einmal Schonzeit. Die anderen Frauen helfen der Mutter, sie muss nicht arbeiten. Diese Schonzeit dauert sieben Tage, nach der Geburt eines Jungen etwas länger. In dieser Zeit darf der Vater noch nicht ins Haus. Eine Woche lang bekommt die Frau Ga'at zu essen. Da das Mehl im Magen weiter aufgeht, soll es dem Volksmund nach die durch die Geburt entstandene Leere im Bauch der Mutter füllen. Die anderen Frauen erledigen auch die Wäsche. Sie waschen das Kind und führen die Beschneidung des Penis' durch *.
Erst nach 40 Tagen darf die Frau erstmals wieder zur Kirche. Nach diesen 40 Tagen ist auch die Taufe des Kindes, jedenfalls wenn es ein Junge ist. Mädchen werden erst nach 80 Tagen getauft.

* Eine Beschneidung der Genitalien im Kindesalter wird in vielen Ländern aus traditionellen oder religiösen Gründe durchgeführt, genannt werden auch hygienische Gründe. Bei Jungen bzw. Männern kann bei Vorhautverengung eine Beschneidung sogar medizinisch notwendig sein, sie stellt keinen großen Eingriff dar. Die Beschneidung bei Mädchen hingegen besteht aus Verstümmelungen unterschiedlichen Grades. Sie ist eine Tortur mit meist traumatischen Folgen. In Eritrea ist die Beschneidung von Mädchen gesetzlich verboten.

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