WIR HIER: Artikel von Geflüchteten und Menschen, die schon länger hier leben

Flucht: Ein Schulprojekt

Von Habibola Samadi aus Afghanistan
HabibolaSamadi
Seit einigen Monaten arbeite ich bei einem Projekt vom Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein im Zusammenhang von „Kirche und Schule“ mit. In dem Projekt sollen Jugendliche der 8. und 9. Klassen das Gefühl von Fremdheit und Verunsicherung erleben, wie es für Flüchtlinge Alltag ist.
Die Schüler/innen werden dazu in eine fiktive Situation versetzt: Sie müssen aus Deutschland fliehen, weil hier ein diktatorisches Regime die Macht übernommen hat, das ein Leben in Freiheit unmöglich macht.

So fliehen sie in die nordafrikanischen Staaten bzw. in Staaten des Nahen Ostens und Vorderasiens, um ihr Leben zu retten, und mit der Hoffnung, dort freier und sicherer leben zu können als in Deutschland. Auf der Flucht spüren sie die Abhängigkeit von der Willkür anderer und die Unsicherheit in der Begegnung mit einer anderen Kultur. Hinzu kommt die fehlende Verständigungsmöglichkeit, weil die Sprachen unterwegs und im „neuen Land“ ganz anders sind als die, die sie in der Schule gelernt haben.
Die Schüler/innen werden in Kleingruppen eingeteilt und jeder Gruppe wird ein Guide zugeordnet, der selbst vor einigen Jahren aus seinem Land geflohen ist. Damit die Schüler/innen die Situation von Flüchtlingen auf ihrem Weg nachempfinden können, werden fünf typische Situationen nachgestellt:
1: Fluchtweg. Die Schüler/innen werden mit verbundenen Augen geführt (dies soll das unbekannte Terrain symbolisieren, durch das sich Flüchtlinge bewegen). Sie müssen sich völlig auf den Guide verlassen, auch wenn sie die Orientierung verloren haben und er sie durch unwegsames Gelände führt.
2: Arbeiten. Die Überfahrt kostet Geld. Um es zu verdienen, müssen die Schüler/innen erst einmal Arbeit finden. Sie haben Glück und können in einer Fabrik Pailletten auf T-Shirts nähen.
3: Warten. Die Schüler/innen lernen einige Worte in der Sprache des Ziellandes (Dari bzw. Arabisch).
4: Überfahrt Meer - Die Schüler/innen müssen in ein schwankendes Schlauchboot klettern.
5: Registrierung. Die Schüler/innen sind jetzt in ihrem „neuen Land“ angekommen. Sie müssen an der Grenze sagen, dass sie Asyl suchen, sich registrieren lassen und ihre Fingerabdrücke abgeben. An einer anderen Stelle müssen sie dann Asyl beantragen und erklären, warum sie ihre Heimat verlassen mussten. Von den Mädchen wird erwartet, dass sie ab sofort ein Hijab, und von den Jungs, dass sie die für Männer typische arabische Kopfbedeckung tragen.
Am Ende dieses dreistündigen Projektes haben die Schüler/innen in der Regel eine ganz andere Einstellung zu Geflüchteten als zuvor.

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