WIR HIER: Artikel von Geflüchteten und Menschen, die schon länger hier leben

Alles Käse

HaylVon Hayl Aioub aus Syrien

Nicht alles ist, was es zu sein scheint. Das gilt für Dinge, aber genauso auch für Menschen. Ich meine damit unsere inneren Bilder, unsere Vorstellungen von etwas und unsere Vorurteile, positiv wie negativ. Selbst über Länder kann das zutreffen. Fast alle Menschen hier kennen Syrien wegen des Bürgerkriegs. Aber unser Land ist viel mehr.
Als ich noch in der Erstaufnahme in Neumünster wohnte, hatte ich einen Mitbewohner, der bei den Mahlzeiten immer dafür dankte, dass er jetzt in Deutschland sei. Er streckte die Arme gen Himmel und rief: „Lieber Gott, ich danke dir, dass ich hier sein darf. Jetzt wird alles besser.“ Auch für das Essen dankte er. „Besonders mag ich den Käse.

Einfach toll, dieser deutsche Käse!“, sagte er und lächelte glückselig beim Anblick der kleinen Päckchen aus Plastik mit abziehbarem Deckel. Ich sagte ihm nicht, dass es sich dabei gar nicht um Käse handelte, sondern um industriell gefertigte Butter, die wir uns jeden Morgen auf unser Toastbrot schmierten. Ich wollte ja nicht gleich zu Beginn seine Illusionen über das gelobte Land zerstören.
Als ich zusammen mit meiner pflegebedürftigen Mutter in eine kleine Wohnung zog, hatte ich eine deutsche Nachbarin, die über die Flüchtlinge schimpfte. Sie seien unordentlich, schmutzig und überall würden sie ihren Müll hinwerfen. Tatsächlich gab es in unserem Haus eine andere ausländische Familie, die ihren Müll einfach auf der Straße entsorgte. Ich versuchte aber der älteren Dame zu erklären, dass längst nicht alle Flüchtlinge so seien. „Ich komme aus Syrien“, sagte ich, „und ich mache so etwas nicht. Wir lassen nichts auf der Straße liegen und trennen unseren Müll.“ Wegen meines europäischen Aussehens sind die Menschen oft überrascht, dass ich ein Flüchtling bin, so auch meine Nachbarin.
Manchmal sind die Leute auch erstaunt, wenn ich erzähle, dass ich auf der Universität war und ein Auto hatte. „Ja, wirklich, es gibt Autos und Universitäten in Syrien?“, fragen sie und ich beiße mir auf die Zunge, um nicht zu sagen, dass wir schließlich nicht aus der Wüste kommen. Ich weiß, dass nicht alle Menschen hier so denken, dennoch ärgert es mich, wenn ich so etwas höre. Ich möchte dann am liebsten weitererzählen, von unserer Kultur, unseren Kunstschätzen, unserer Musik und allem, was unser Land an Gutem hervorgebracht hat. Nicht nur den Krieg. Ich hatte ein gutes Leben, bevor das alles passiert ist. Ich bin nicht hier, weil ich arm war. Ich bin hier, um weiter zu leben. Und weil ich meinen Kindern eine Zukunft ermöglichen möchte.
Ich bin traurig, wenn ich die Nachrichten über mein Land höre. Ich bin traurig, wenn ich höre, dass Syrien eine einzige Katastrophe zu sein scheint. Für mich ist es das nicht. Ich vermisse meine Heimat, meine Berge und die fruchtbaren Täler, ich vermisse die Sonne und das Meer. Ich vermisse den Mond über Damaskus, meiner Stadt. Und trotzdem versuche ich, dankbar und immer positiv zu sein. Manche Dinge leben für immer im Herzen weiter und so behalte ich Syrien vor dem Krieg in meinem Gedächtnis, so gut es geht.
Manchmal habe ich in Deutschland auch sehr schöne Begegnungen. Im Sommer fuhr ich mit zwei deutlich jüngeren syrischen Freunden an einen Badesee. Wir legten unsere Badetücher an den Strand und schwammen eine Runde im See. Anschließend setzten wir uns auf unsere Tücher und unterhielten uns angeregt.
Irgendwann kam eine Frau auf uns zu, sie schien uns unbedingt etwas sagen zu wollen. Oh, nein, dachte ich, wahrscheinlich sagt sie uns, dass man hier nicht baden darf. Eine Regel, die ich nicht bedacht hatte? Und wenn sie merkt, dass wir Flüchtlinge sind, gibt es bestimmt noch mehr Ärger. Wir waren schon im Begriff zu gehen, da sprach sie mich an und sagte: „Also, ich finde es wirklich toll, dass Sie sich mit den jungen Männern beschäftigen und ihnen das Schwimmen beibringen. Es ist wichtig, dass sich jemand um die Flüchtlinge kümmert, nur so können sie sich integrieren.“ Dabei sah sie mich freundlich an. Sie hatte mich aufgrund meiner äußeren Erscheinung anders einsortiert und ich selbst war meinen eigenen Vorurteilen erlegen. Ich lächelte nur und nickte.

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