Von Gisela Ellerbrock-Albrecht
In den Deutschstunden mit einigen jungen eritreischen Frauen sprachen wir manchmal über Essen in der alten und neuen Heimat. Dabei fiel ab und zu das Wort INJERA. Ich erfuhr, dass es sich um das eritreische Fladenbrot handelt.
Es wird auch hier viel gegessen und immer selbst gemacht. Es ist weich und hat einen fein säuerlichen Geschmack. Mir wurde allerdings nie ganz klar, wie es hergestellt wird. Eines Tages sagte Kibra: ,,Komm doch vorbei, dann zeige ich es dir.“
Diesen Vorschlag nahm ich gern an. An einem Sonnabendnachmittag trafen wir uns in ihrer Wohnung in der Unterkunft OWS. Es ging aber nicht in die Küche, sondern in das Zimmer, das Kibra mit Selam bewohnt. Langsam wurde mir klar, dass ich zu einem Festessen eingeladen war. Auf dem kleinen Tisch war schon ein Stapel INJERA aufgebaut.
Er war umgeben von mehreren herrlich duftenden Gerichten mit Fleisch, würziger Sauce, Gemüse und Salat. Es sah wunderbar aus und irgendwie schafften die Gastgeberinnen es auch, für alle einen Teller und ein Getränk auf dem Tischchen unterzubringen.
Vor und nach dem Essen wurde gebetet. Dann nahmen sich alle einen Fladen als Unterlage für die anderen Speisen und begannen gemächlich zu essen, indem sie kleine Stücke mit der rechten Hand abzupften. Es sah gut und leicht aus. Nur schade, dass ich zwar Fladenstücke zu fassen bekam, aber absolut unfähig war, den Rest der Speisen in den Mund zu bekommen. Schließlich half ein Löffel. Nach dem Obst-Nachtisch wurden Kaffeebohnen geröstet, zusammen mit Nelken gemahlen und frisch aufgebrüht. Ein ganz neues Kaffee-Erlebnis! Wie gut, dass ich zumindest einen Kuchen mitgebracht hatte.
Während des gemütlichen Essens erzählte Selam, dass sie eine sechsmonatige Einführung in den Beruf einer Altenpflegerin begonnen habe. ,,Ich muss sehr früh aufstehen. Dabei störe ich Kibra, die viel später zum Deutschkurs geht,“ sagte sie, ,,und am Nachmittag muss ich viel Theorie lernen. Dafür brauche ich Ruhe und suche deshalb häufig in der Stadtbücherei eine stille Ecke. Ich weiß, dass es in Norderstedt auch für viele Deutsche sehr schwierig ist, eine Wohnung zu finden, aber mein größter Wunsch sind vier Wände für mich allein.“ Ich sah mich in dem Zimmer von ca. 13 qm um: zwei Betten, zwei hohe, schmale Schränke, der Tisch und zwei Sitzgelegenheiten. Damit war der Raum gut gefüllt. Wie würde ich mich mit einem fremden Menschen auf Jahre in einem beengten Zimmer fühlen? Keine Privatsphäre, unterschiedliche Aufstehens- und Schlafzeiten; Lüftung, Wärme, Musikwünsche, Besuch, Ordnung, Sauberkeit, Schnarchen und vieles mehr: Alles muss besprochen werden, nicht alles ist regelbar. Auch einmal ungestört traurig zu sein, ist nicht immer möglich.
Ich hatte gar nicht mehr damit gerechnet, aber zum Schluss ging es in die Küche zum INJERA-Herstellen. Im Ofen wird Weizenmehl mit ein wenig Teff (Zwerghirse) auf einem Backblech kurz angeröstet. In Eritrea wird nur Teff verwendet, ist hier aber schwer zu bekommen. Anschließend wird das Mehl mit Wasser in einem großen Gefäß vermischt. Fast bis zu den Ellbogen steckten die Arme einer der jungen Frauen in dem Teig, sie knetete ihn und gab nach Gefühl mehr Wasser dazu, bis ein relativ flüssiger Teig entstand. Dieser Teig kann über Tage aufbewahrt werden. Dann wird eine Kelle voll in eine spezielle Pfanne gegeben und nur von einer Seite gebacken, bis der Fladen fest, aber nicht gebräunt ist. Unter viel Applaus und Gelächter habe ich so den ersten Fladen meines Lebens hergestellt!
Während der ganzen Zeit war ich sozusagen umhüllt von der unaufdringlichen Gastfreundschaft der jungen Frauen, die mich sehr berührt hat.