WIR HIER: Artikel von Geflüchteten und Menschen, die schon länger hier leben

Rezept fürs Zusammenleben

Von Susanne Dähn
SusanneDaehn

Seit drei Jahren wohnt in unserer Einliegerwohnung ein Mann aus dem Mittleren Osten. Er kam als „Flüchtling“ (er hasst diesen Begriff) und ist inzwischen ein von uns sehr geschätzter Nachbar. Das heißt nicht, dass immer alles ohne Probleme lief oder läuft. Aber mal ehrlich: In welcher Nachbarschaft ist das schon so? Wir möchten ihn jedenfalls nicht mehr missen, er fühlt sich wohl bei uns. Wie das gelungen ist?

Hier unser Rezept, das sicherlich nicht bei jedem funktioniert, aber ein Wegweiser sein könnte. Die Punkte gelten jeweils gegenseitig:
1. Respekt
Unser Nachbar ist zwar ein Flüchtling, aber kein Mensch zweiter Klasse. Daher versuchen wir, seine Kultur und Sprache zu respektieren und ihn nicht auszunutzen. Er wiederum bemüht sich, unsere Lebensweise, auch wenn sie ihn mitunter befremdet, zu akzeptieren.
2. Verständnis
Unser Nachbar ist manchmal sehr umständlich. Zum Beispiel wendet er sich in Gruppengesprächen überwiegend an die Männer. Das hat er so gelernt, es ist für ihn kein Zeichen der Diskriminierung, sondern der Höflichkeit. Würde er gleich mit den Frauen sprechen, könnten die sich belästigt fühlen. Wir haben diesen Hintergrund verstanden, und er hat verstanden, dass es bei uns nicht höflich ist, die Frauen zu ignorieren.
3. Willen
Wenn es Verständnisprobleme oder Änderungswünsche an den anderen gibt, so muss jeder auch den Willen haben, auf den anderen einzugehen.
4. Vertrauen
Damit ist nicht gemeint, dass der jeweilige Nachbar gleich eine Bankvollmacht bekommt, sondern die Grundannahme, dass der andere es gut mit mir meint. Wenn wir unseren Nachbarn um etwas bitten, macht er das meistens, denn er weiß, wir werden auch ihm Gefallen tun, wenn es in unserer Macht steht.
5. Lernbereitschaft
So ganz ohne interkulturelles Lernen geht es nicht, denn wenn jemand aus einem anderen Kulturkreis kommt, hat er seit seiner Kindheit nicht exakt das Gleiche gelernt wie wir. Er hat z.B. jetzt gelernt, dass es hier wichtig ist, immer Regenzeug dabei zu haben und dass das Messer rechts und die Gabel links vom Teller liegen. Wir haben gelernt, dass man auch auf dem Fußboden gut Mittagessen kann (nicht immer natürlich) und dass man beim Eintreten immer die Schuhe ausziehen sollte.
6. Humor
Es lohnt sich, gemeinsam zu lachen, wenn einer von uns ein Fettnäpfchen erwischt hat, weil bislang nie hinterfragte Verhaltensweisen oder Ausdrücke lustig sind, und auch, wenn etwas misslungen ist.
Soweit das Rezept.
Was haben wir, die Vermieter, bekommen? Einen neuen Freund und Nachbarn, der mal auf die Kinder aufpasst, der das Haus betreut, wenn wir im Urlaub sind, der uns neue Impulse gibt und uns zum Nachdenken über uns und unsere Lebensweise anregt.
Was hat er, der Mieter, bekommen? Einen heimatlichen Ort in einer fremden Umgebung, neue Freunde und Nachbarn, Hilfe beim Ausfüllen von Papieren und eine warme Suppe bei Krankheit.
Ihn bei uns wohnen zu lassen, war die beste Entscheidung des Jahres 2014 und wir hoffen, dass das Zusammenleben noch lange so weiter geht.

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