WIR HIER: Artikel von Geflüchteten und Menschen, die schon länger hier leben

Hindernislauf: Ziel bekannt, Ankunftszeit ungewiss

Von Roula Kanjou aus Syrien
Am Ende des Sommers 2014 bin ich mit drei Kindern, damals 5, 15 und 17 Jahre alt, von Syrien nach Deutschland geflüchtet. Über meinen beruflichen Werdegang in Deutschland habe ich mir damals noch keine Sorgen gemacht. Erstens habe ich 20 Jahre in meiner Heimat als Architektin gearbeitet, spreche fließend Englisch und Polnisch, und zweitens waren erst einmal viele andere Dinge vorrangig wie die Anerkennung als Asylantin (Papiere, Papiere, Papiere...) und meine Unterbringung mit den Kindern.
2015 wurde ich dann Norderstedt zugewiesen und dort in der Sammelunterkunft in der Lawaetzstraße untergebracht. Von Anfang an habe ich mich um Kontakte gekümmert: Zum Willkommen-Team, zur Diakonie, zum Kirchentreffpunkt, zu vielen anderen Deutschen und natürlich zu Menschen aus meiner Heimat.

Der erste Schritt zu einer Berufstätigkeit bestand in der Anerkennung meiner Ausbildung in Kiel (Papiere, Papiere, Papiere ...). Etwa nach sieben oder acht Monaten bekam ich eine Antwort: Meine Ausbildung wurde anerkannt, aber mir würden, so die Ingenieur- und Architektenkammer Schleswig-Holstein, zwei Anerkennungsjahre in einem Architekturbüro fehlen. Hier gab es erstmal also kein „Weiter“.
Durch Vermittlung eines Vaters aus dem Kindergarten meines Sohnes erhielt ich die Möglichkeit, ein Praktikum bei Schulbau Hamburg, einem Landesbetrieb der Freien und Hansestadt Hamburg, zu machen. Ich wurde sehr freundlich dort aufgenommen, aber es stürzte ein enormes fremdes Fachvokabular auf mich ein. Ich hatte damals erst das Sprachniveau A2. Inzwischen habe ich weitere Sprachkurse absolviert, habe die B2-Prüfung bestanden und natürlich den Integrationskurs erfolgreich abgeschlossen.
Die Unterbringung meiner Kinder in Schulen und Kindergarten, häufige Arztbesuche mit den Kindern und dann die Wohnungssuche, weil mein Ehemann bald nachkommen würde, nahmen damals viel Zeit in Anspruch (Papiere, Papiere, Papiere ...).
Mein damaliger Berater beim Jobcenter genehmigte mir einen Sprachkurs an der Berlitz School, der den Schwerpunkt auf berufsspezifisches Fachvokabular legen sollte. Das war Einzelunterricht. Auch wenn der Kurs intensiv die deutsche Sprache vermittelte, Wörter für meinen Beruf habe ich dabei nicht gelernt.
Dann gaben mir Freunde den Rat, mich um eine Bautechnikerausbildung zu kümmern. Als ich mich in Hamburg an einer Gewerbeschule erkundigte und dort meine Situation darstellte, riet man mir, die fehlenden Kenntnisse über Universitätsseminare zu erwerben.
Also belegte ich Kurse an der HafenCity Universität Hamburg. Gleichzeitig lief der C1-Kurs, den mir das Jobcenter inzwischen bewilligt hatte. Außerdem meldete ich mich auf Anraten des Jobcenters in Kiel für ein Seminar an, das vom IQ-Netzwerk Schleswig-Holstein angeboten wurde. Es stellte sich aber heraus, dass das ein Seminar nur für Bauingenieure war. Zwar gibt es da inhaltliche Überschneidungen zu meinem Beruf, aber so wirklich passend war es nicht.
Mein Berater beim Jobcenter hatte mehrfach wiederholt, dass ich keine zweite Berufsausbildung erhalten könne. Da ich keinerlei Ahnung vom Baurecht in Deutschland habe und die landestypischen Baumaterialien nicht kenne, ist es - auch unabhängig von den mir für die Anerkennung fehlenden zwei Praxisjahren in einem Architektenbüro - schwierig, mich zu vermitteln. Vor allem fehlen mir Kenntnisse im Computer gesteuerten Zeichnen. Es wäre dringend nötig, dass ich ein Praktikum mache, hieß es im Jobcenter, aus dem hervorginge, was mir an Kenntnissen fehle. Gott sei Dank habe ich so ein Praktikum in einem Architektenbüro absolvieren können. Eigentlich ist mir erst da klar geworden, dass ohne spezielle Computerkenntnisse gar nichts läuft.
Wenn der Abteilungsleiter des Architektenbüros detaillierte Angaben machen könnte, welche Kenntnisse mir fehlen, so könne ich eventuell einen Kurs dafür genehmigt bekommen, hieß es im Jobcenter. Das könnte dann dazu führen, dass ich lerne am Computer zu zeichnen. Darüber bin ich sehr froh! Außerdem erfuhr ich, dass es wohl einen Kurs vom IQ-Netzwerk Hamburg für Architekten gibt. Das lässt mich nun ein bisschen aufatmen und wieder neu Hoffnung schöpfen, dass ich doch noch irgendwann in meinem Beruf hier in Deutschland werde arbeiten können.

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